AT24 im Gespräch: Sanela Pansinger
People, PorträtSanela Pansinger ist als Architektin, Stadtplanerin und Stadtforscherin multidisziplinär tätig. Von 2016 bis 2020 arbeitete sie bei LIFE – Institut für Klima, Energie und Gesellschaft der JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft. Als Urban Designerin war sie hauptverantwortlich für die Bereiche Innovation, Nachhaltigkeit und räumliche Organisation – UrbanLIFE. Ende 2019 erweiterte sie ihr Handlungsfeld im Bereich der Raum- und Stadtplanung sowie Stadtforschung durch die Gründung von adasca. Fokus ihrer Arbeit ist die Gestalterische Nachhaltigkeit und ihre Anwendung sowie die Kontextualisierung der aktuellen gesellschaftlichen Themen wie Klima, Technologie, Energie als Handlungsfelder der Zukunft.
Dem Raum den Raum geben: Raum als Bedingung – Gestalterische Nachhaltigkeit
»Der Raum ist ein Verbindungselement und dies impliziert auch die Bedeutung des Ortes und die Nachhaltigkeit der urbanen Qualität. Der Ort als komplexer Kontext kann durch verschiedenste Aspekte interpretiert werden: geografisch, politisch, wirtschaftlich, kulturell etc. und da der räumliche Kontext immer unterschiedlich ist, wird er unterschiedliche Antworten auf bestimmte Herausforderungen geben. Das bedeutet vor allem, die Form menschlicher Siedlungen mit Raum zu verbinden, statt nur eine physische Zuflucht bzw. eine abstrakte Funktionalität der räumlichen Organisation zu generieren.
Unser Verhalten ist immer auch eine Reflexion des Charakters des Ortes bzw. von dessen Gestalt. Gerade hier wird die Wichtigkeit der Gestalterischen Nachhaltigkeit sichtbar: Sie beeinflusst über die Handlungen, die uns durch die räumlichen Möglichkeiten gegeben sind, auf sehr konkrete Art und Weise auch unsere Existenz.« – Sanela Pansinger
Das Thema der Architekturtage 2024 ist „Geht’s noch? Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“. Was geht Ihrer Meinung nach in diesem Kontext nicht mehr?
„Geht's noch?“ – Diese Frage drängt sich auf, wenn wir weiterhin mehr nehmen statt geben, denn wir haben bereits alles verbraucht! Es geht darum, jetzt und in der Zukunft einen Mehrwert zu generieren – ökologisch, ökonomisch, sozial und gestalterisch nachhaltig. Es geht nicht mehr, Ressourcen verschwenderisch zu nutzen, anstatt nachhaltige und ressourceneffiziente Bauweisen zu verfolgen. Es geht nicht mehr, Architektur (unter dem Motto »Bewundere mich«) isoliert von sozialen und ökologischen Aspekten zu betrachten, anstatt ganzheitliche und interdisziplinäre Lösungsansätze zu verfolgen. Es geht um zukunftsfähige Ansätze, die eine lebenswerte und resiliente gebaute Umwelt schaffen. Das bedeutet, die Rolle der Hauptakteur:innen in Entwicklungsprozessen ändert sich – nicht nur Entscheidungskraft, sondern fachliche Expertise in Zusammenarbeit mit Bürger:innen ist gefragt.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen vor denen die Architektur, das Ingenieurswesen und die Baukultur stehen?
Die Architektur und das Ingenieurswesen stehen vor der Herausforderung, eine harmonische Verbindung zwischen der gebauten Umwelt und der natürlichen Landschaft herzustellen, um eine nachhaltige und respektvolle Beziehung zur Umwelt zu gewährleisten. Die Baukultur muss sich mit der Frage auseinandersetzen, wie die sozialen und kulturellen Bedürfnisse einer vielfältigen Gesellschaft in architektonischen Gestaltungen reflektiert werden können, um inklusive und integrative Räume zu schaffen. Die Integration neuester technologischer Entwicklungen und digitaler Innovationen in Planungs- und Bauprozesse erfordert ein Umdenken in der Herangehensweise an die Gestaltung und Nutzung von Gebäuden, um die Lebensqualität und Effizienz zu steigern. Die zunehmende Komplexität und Interdisziplinarität von Bauvorhaben erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Architekt:innen, Ingenieur:innen, Stadtplaner:innen und weiteren Expert:innen, um ganzheitliche und zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln. Das bedeuetet, dass eine zukunftsfähige räumliche Organisation nicht durch einzelne Maßnahmen erreicht werden kann, sondern nur durch integrative Prozesse auf den verschiedenen Ebenen. Es entsteht dabei ein Netzwerk (Umwelt, Denkmäler, Kulturerbe, Natur, Infrastruktur, Energie etc.), das im Raum zu einem Ganzen wird bzw. werden soll. Wenn ausschließlich Effizienz und Effektivität als Einzelmaßnahmen angestrebt wird, führt dies vermutlich zu noch mehr Ressourcenverbrauch. Es geht darum, die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen zu übernehmen.
Was sind Ihre persönlichen drei Wünsche an eine zukunftsfähige Bauwirtschaft und Bausektor?
1. Harmonie: Mein erster Wunsch an die zukunftsfähige Bauwirtschaft ist die Schaffung von Gebäuden und Strukturen, die im Einklang mit der natürlichen Umgebung und mit dem Geist des Ortes stehen. Dies bedeutet, dass Bauwerke nicht nur ästhetisch ansprechend gestaltet werden, wo die Natur als Korrekturwerkzeug dient. Weiteres, nicht nur die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien, die Integration von grünen Technologien zur Energiegewinnung und -effizienz sowie die Berücksichtigung des ökologischen Fußabdrucks während des gesamten Bauprozesses sind entscheidend, um eine symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Natur zu schaffen, sondern die Notwendigkeit bzw. die Implementierung eines zusätzlichen Nachhaltigkeitsaspektes neben den bekannten drei Aspekten (soziologischen, ökonomischen und ökologischen) namentlich Gestalterische Nachhaltigkeit[1], der sich nicht abstrakt, sondern konkret auf den räumlichen Kontext bezieht.
2. Inklusivität und Diversität: Mein zweiter Wunsch ist die Förderung von inklusiven und diversen Raumkonzepten, die die vielfältigen Bedürfnisse und Lebensstile einer heterogenen Gesellschaft berücksichtigen. Dies erfordert die Schaffung von flexiblen und anpassungsfähigen Räumen, die sowohl soziale Interaktion als auch individuelle Privatsphäre ermöglichen. Die Integration barrierefreier Gestaltungsprinzipien, die Berücksichtigung kultureller Vielfalt und die Schaffung von inklusiven Gemeinschaftsräumen sind von zentraler Bedeutung, um eine integrative und gerechte Baukultur zu etablieren.
3. Innovation und Forschung: Mein dritter Wunsch zielt auf die Förderung von Innovation und Forschung ab. Dies beinhaltet die kontinuierliche Weiterentwicklung von Bautechnologien, Planungs- und Bauprozessen sowie die Integration neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gestaltung von Gebäuden und Infrastrukturen. Die Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Architekt:innen, Ingenieur:innen, Wissenschaftler:innen und Technolog:innen ist entscheidend, um innovative Lösungen zu entwickeln, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden und eine nachhaltige und zukunftsweisende Baukultur ermöglichen.
Wie leben / wohnen die Menschen in 50 Jahren?
In 50 Jahren werden sich urbane Zentren zu resilienten und autarken Systemen entwickelt haben und so der Mehrheit der Menschen einen Lebensraum bieten. Die Architektur (in ihrer analogen und digitalen Form) wird als Werkzeug eine zentrale Rolle bei der Förderung der sozialen sowie ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit spielen. Sie wird integrative Gemeinschaften fördern und so dem Raum einen Ortsgeist verleihen. Die Integration der Natur in städtische Umgebungen wird über eine rein ästhetische Ergänzung hinausgehen, wobei Grünflächen und biologische Vielfalt als wesentliche Bestandteile des städtischen Lebens dienen und Erholung und Verbindung zur natürlichen Welt bieten. Darüber hinaus wird diese Koexistenz von Urbanität und Natur unsere Wahrnehmung der Umwelt neu definieren, indem sie nicht nur als Ressource, sondern als wesentlicher Bestandteil unserer kollektiven Identität und unseres Wohlbefindens anerkannt wird – Natur als unserer Lehrmeister und Informationsträger.[2]
[1] Pansinger S., Prettenthaler F. www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02513625.2023.2229626
[2] www.db-bauzeitung.de/news/forschungsprojekt-stadtplanung-biotechnologie/