AT24 im Gespräch: Jacobus van Hoorne
People, PorträtJacobus van Hoorne ist Physiker. Nach seinem Studium der technischen Physik arbeitete er sieben Jahre am renommierten CERN in der Schweiz, der Europäischen Organisation für Kernforschung. Jetzt ist er seit Jahren zurück im Burgenland und übt gemeinsam mit seinem Vater Arie van Hoorne ein in Österreich nahezu ausgestorbenes Handwerk aus: Schilfdachdecker und Schilfschneider.
Eines seiner längerfristigen Ziele ist es, Schilfdächer wieder für das Bauwesen interessant zu machen. So wie es auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Holland bereits ein Trend ist. Verändert hat sich das Handwerk in den vergangenen Jahrzehnten kaum. Auch den Schilfschnitt übernehmen Vater und Sohn selbst rund um den Neusiedler See.
»Am Beispiel Schilf sehe ich aus erster Hand, wie viel Potenzial ungenutzt bleibt. Schilf ist ein lokal verfügbarer, nachwachsender Rohstoff, bindet CO2, dämmt hervorragend, und hält bei richtiger Verarbeitung 50 Jahre auf einem Dach.« – Jacobus van Hoorne
Das Thema der Architekturtage 2024 ist „Geht’s noch? Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“. Was geht Ihrer Meinung nach in diesem Kontext nicht mehr?
Wenn ich auf Baustellen arbeite, erschreckt mich immer wieder, wie viele offensichtlich nicht-nachhaltige Materialien verbaut werden. Vielleicht nachhaltig im Sinne von Energieersparnis und CO2-Bilanz, aber nicht in der Müllvermeidung. Das geht von Dämm-Materialien, von zahlreichen Folien die überall eingebaut werden, bis hin zu Kunststoff-Flachdachbahnen. Großteils werden einem solche Materialien auch noch aufgezwungen, weil sie durch Baunormen vorgegeben werden, die aber wohl nur durch starken Lobbyismus der Herstellerfirmen entstanden sind. Es wird dann zwar immer wieder damit argumentiert, dass ja alles recyclebar sei. Aber ich denke nicht, dass im Nachhinein all die Baustoffe eines Gebäudes wieder genauso getrennt werden können bzw. dass dies wirklich effektiv der Fall sein wird. Also man erzeugt im Moment beim Bauen sehr viel zukünftigen Müll. Bis ins vorige Jahrhundert hinein, hat man Gebäude mit unter zehn – nachhaltigen – Baustoffen gebaut, heutzutage sind es hunderte!
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen vor denen die Architektur, das Ingenieurswesen und die Baukultur stehen?
Die größte Herausforderung wird meiner Meinung nach sein, Planer:innen und Ausführende wieder davon zu entwöhnen, diese problematischen Materialien ohne Hinterfragen zu verwenden und wieder mehr auf lokale, natürliche Baustoffe zu setzen. Auch von der Behördenseite müsste das erleichtert, wenn nicht sogar gefördert werden.
Am Beispiel Schilf sehe ich aus erster Hand, wie viel Potenzial ungenutzt bleibt. Schilf ist ein lokal verfügbarer, nachwachsender Rohstoff, bindet CO2, dämmt hervorragend, und hält bei richtiger Verarbeitung 50 Jahre auf einem Dach. Am Neusiedlersee wird im Jahr genug Schilf für mehr als 500 Einfamilienhaus-Dächer geschnitten. Weil es hier aber dem Schilfdach so schwer gemacht wird, sind es derzeit im Schnitt nur fünf. Der Rest des Schilfs wird nach Nordeuropa exportiert.
Was sind Ihre persönlichen drei Wünsche an eine zukunftsfähige Bauwirtschaft und Bausektor?
1. Sich wieder an die Vorteile altbewährter Materialien zu erinnern.
2. Sich zu überlegen, wie man Gebäude wieder so bauen kann, dass sie Jahrhunderte in Verwendung bleiben können und nicht nur einige Jahrzehnte.
3. Dass sich vor allem auch die Architekt:innen Ihrer Verantwortung bewusst werden, dass es nicht nur wichtig ist, gestalterisch schöne und funktionelle Gebäude zu planen, sondern dass es auch wichtig ist, woraus/womit diese gebaut werden.
Wie leben und wohnen die Menschen in 50 Jahren?
50 Jahre sind eine sehr lange Zeit, in der es wohl sehr viel neue technische Entwicklung, also auch Einflussfaktoren für die Lebensweise, geben wird. Also tue ich mir sehr schwer, eine Vorstellung zu bilden. Andererseits, wenn man vergleicht wie die Menschen in Österreich vor 50 Jahren, also 1970, und heute leben, würde ich fast behaupten, dass es trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen keine grundlegenden Veränderungen gegeben hat. Vielleicht am ehesten noch, dass das Zusammenleben mehrerer Generationen verschwunden ist.