AT24 im Gespräch: Aglaée Degros
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Aglaée Degros ist eine belgische Architektin und Stadtplanerin. Im Jahr 2001 gründete Aglaée Degros gemeinsam mit Stefan Bendiks das Büro „Artgineering“ in Rotterdam. Aktuell ist sie u. a. Professorin für Städtebau an der Technischen Universität Graz. Aus der Überzeugung heraus, dass die Disziplin des Städtebaus in Zeiten des Klimawandels einen Paradigmenwechsel braucht, etablierte sie den Begriff des „Territorial Turn“ — der „territorialen Wende“.
»Was bedeutet es für die gebaute Umwelt, wenn wir die Prioritäten umkehren und das Gebäude nicht mehr länger ein strukturierendes Element ist? Es wird der Kontinuität untergeordnet, die aus der ökologischen Logik eines Ortes resultiert. Eine Stadt zu entwickeln bedeutet daher nicht mehr einen Zuwachs an Gebäuden. Es ist nicht notwendig, einen neuen Stadtteil zu bauen, um eine Stadt zu verbessern, sondern es geht darum, Gebäude zu renovieren, wiederzuverwenden und neu zu definieren, die fehlenden grünen Links zu schaffen, Kollektive und aktive Mobilität zu entwickeln, um gemeinsamen Raum frei zu machen und Wassereinzugsgebiete zu fördern. Die Planung ist nicht eine Frage von Verbrauch oder Schutz, es geht um die Begrenzung des Ressourcenverbrauchs durch ethische und gesetzliche Grenzen.« – Aglaée Degros
Das Thema der Architekturtage 2024 ist „Geht’s noch? Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“. Was geht Ihrer Meinung nach in diesem Kontext nicht mehr?
Wir müssen uns von einem spekulativen zu einem bewohnten Gebiet bewegen. Wir müssen damit aufhören, Urbanismus als Antwort auf Fragen der Raumplanung mit Gebäuden anzusehen – egal, ob sie ein existentielles Bedürfnis abdecken oder nicht – und Kapital zu verräumlichen, ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit des Bedarfs.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen vor denen die Architektur, das Ingenieurswesen und die Baukultur stehen?
Die Strategie, den Lebensraum zu schützen, beginnt damit, neue Gebäude als Spekulationsobjekte abzulehnen, bereits existierende Gebäude wiederzuverwenden oder neue Gebäude auf bescheidene Art und Weise zu entwickeln. Die Herausforderung ist es, den Systemen Priorität zu geben, die unseren Lebensraum erhalten: grüne und blaue ökologische Zusammenhänge, Wassereinzugsgebiete, Bodenvalorisierung, aktive und kollektive Mobilität etc. Eine Art umgekehrtes Denken, das uns dazu verpflichtet, unsere Planungsroutine zu hinterfragen.
Was sind Ihre persönlichen drei Wünsche an eine zukunftsfähige Bauwirtschaft und Bausektor?
Ich wünsche mir, dass wir – als Raumplaner:innen – uns unseren sozialen und ökologischen Verantwortungen stellen.
Ich wünsche mir, dass wir das bewohnte Gebiet als Subjekt betrachten, was bedeutet, dass wir nicht auf die Natur einwirken sondern mit ihr; es ist keine Frage des Beschützens aus der Ferne, sondern des verantwortlich Seins in unseren tagtäglichen Handlungen.
Ich wünsche mir, dass wir Kollektivität feiern, was bedeutet, dass die ökologischen und sozialen Herausforderungen nicht auf Grundstücksebene vom einzelnen Individuum gelöst werden können, sondern auf der Ebene des gemeinsamen Raumes durch die Gemeinschaft.
Wie leben und wohnen die Menschen in 50 Jahren?
Wenn wir die Post-fossile-Energie-Gesellschaft überleben und rein technische Lösungen vermeiden wollen, dann ist es höchste Zeit, ein Raumdesign zu fördern, das auf natürlicher Kontinuität, Gegenseitigkeit und der Priorisierung von sparsamem Ressourcenverbrauch basiert … und das Handlungsfenster ist klein, aber voller Möglichkeiten!
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»What does it mean for the built environment if we reverse the priorities and the building is no longer a structuring element? It becomes subordinate to the continuity that results from the ecological logic of a place. Developing a city therefore no longer means an increase in buildings. It is not necessary to build a new district to improve a city, but it is about renovating, reusing and redefining buildings, creating the missing green links, developing collectives and active mobility to free up common space and promote watersheds. Planning is not a question of consumption or protection, it is about limiting the use of resources through ethical and legal boundaries.« – Aglaée Degros
The topic of Architekturtage 2024 is “Geht’s noch? Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“ (“Geht’s noch? Planning and Building for a Society in Upheaval“). What does in your opinion not work anymore, what have we had enough of in this context?
We need to move from a speculative to an inhabited area. We need to stop looking at urbanism as an answer to spatial planning issues with buildings – whether they meet an existential need or not – and spatializing capital without regard to the necessity of need.
What are the biggest challenges that architecture, engineering and building culture are facing?
The strategy to protect the habitat starts with rejecting new buildings as objects of speculation, reusing existing buildings or developing new buildings in a modest way. The challenge is to prioritize the systems that sustain our habitat: green and blue ecological continuities, watersheds, soil valorization, active and collective mobility, etc. A kind of inverted thinking that obliges us to question our planning routines.
What are your three personal wishes for a sustainable architecture/building sector?
I wish that we (as spatial planners) would face up to our social and ecological responsibilities.
I wish that we consider the inhabited area as a subject, which means that we do not act on nature but with it; it is not a question of protecting it from a distance, but of being responsible in our daily actions.
I wish for us to celebrate collectivity, which means that the ecological and social challenges cannot be solved at the plot level by the individual, but at the level of the shared space by the community.
How will people live in 50 years?
If we want to survive the post-fossil energy society and avoid purely technological solutions, then it is time to embrace a spatial design based on natural continuity, reciprocity and prioritizing the economical use of resources... the window of opportunity is small, but full of possibilities!